Lieber Leser,
achtung, diesmal schweife ich mal wieder hier und da ein
wenig ab, was mich direkt daran erinnert, dass ich den Audiopodcast unter
ähnlichem Titel (hier ein Link zur
Webpräsenz) einmal erwähnen wollte: zwei nette Typen, welche sich über ihre
neuesten Erlebnisse mit Indie-Titeln auslassen und dabei in das ein oder andere
Thema verfallen (auch wenn der "Mitbewohner" mittlerweile eine eigene
Rubrik verdient hätte, anstatt immer nur mal am Rande erwähnt zu werden). Aber
nun zurück zum Wesentlichen.
Je länger ich versuche Leuten die Vorzüge agiler
Softwareentwicklung näher zu bringen (was man witziger Weise ein Stück weit mit
dem neuen Spot
von Vivil vergleichen kann), desto weiter dringe ich dabei in
unbekannte Gewässer vor (jedenfalls sind dort die Konzepte, die ich
präsentiere, meist unbekannt). Es ist natürlich ganz normal, dass man alleine,
aber auch mit dem Team zusammen, immer wieder in Kontakt mit anderen
Gruppen gerät. Dabei fühlt man sich hin und wieder schon wie einer dieser
religiösen Missionare, die
ihre Kultur in die Welt hinaus tragen. Ich komme über die Jahre aber nun auch
immer häufiger mit (Sub-) Systemen in Berührung, deren Tätigkeitsfelder sich
nicht mit denen meiner eigenen Gruppe decken (jedenfalls nicht großflächig).
Dazu gehören Splittergruppen aus den Bereichen Art oder Design, welche nicht
Teil eines Entwicklungsteams sind, sondern vor- oder nachgelagert oder in so
genannten "Pools" agieren. Mittlerweile reichen meine Bemühungen,
bzw. die Anstrengungen meiner Gruppe die Welt ein Stück besser zu machen,
allerdings auch bis zum Management und dem Rechnungswesen. Dort begegnet man,
wenn man lange genug sucht, Gedanken, Rollen, Positionen und Strukturen, welche
einfach auf einem anderen Verständnis des Gesamtbildes fußen und sich ganz
natürlich ein wenig gegen die Überzeugungen und Werte hinter agile, lean, etc.
sträuben. Dann fühlt man sich eher wie Galilei, der die Kirche
(ich beziehe mich hier bewusst auf die Institution und nicht auf die Religion
oder gar den reinen Glauben an sich) versucht davon zu überzeugen, dass sich
die Sonne um Zentrum befindet und nicht die Erde.
Eigentlich eine ganz nette Analogie (aus meiner Sicht). Im
traditionellen Management (ich verzichte mittlerweile auf den Ausdruck
"klassisch", da für mich bereits agile und lean als klassisch gelten,
da ich vom Beginn meiner beruflichen Laufbahn in diesem Sinne gearbeitet hab
[wenn auch oft nicht ganz bewusst]) steht das System im Mittelpunkt. Historisch
bedingt aus dem sekundären Sektor heraus, in der Fabrik, am Fließband auch
nachvollziehbar. Auf der anderen Seite steht bei vielen Charakteren der eigene
Vorteil im Mittelpunkt (Tribal
Leadership versteht hier den Höhepunkt auf Stufe 3, wobei mir einfällt,
dass ich unbedingt einmal eine grobe Übersicht der Stufen bloggen sollte). All
ihre Bemühungen fokussieren sich direkt auf die (eigene) Vergütung. Auch wenn
wir im Agilen die Maximierung von ROI und Co. anstreben, tun wir dies auf
anderem Wege und in der Regel indirekt durch die Erreichung höherer Ziele. Bei
uns steht der Mensch im Zentrum und das System baut sich um ihn herum auf,
nicht anders herum. Mensch bezieht sich hierbei auf Kunden und Kollegen
gleichermaßen, wenn auch nicht zwingend gleich gewichtet ;)
Missionare haben jedoch nicht das allerbeste Bild, vor allem
die Christlichen. Haben sie doch vielerorts nicht nur Gutes getan bzw. bei der
Erreichung ihrer höheren Ziele auf mehr als zweifelhafte Methoden
zurückgegriffen. Darüber hinaus kann ich mich in die Rolle von Galileo nicht so
richtig wiederfinden. Ich sehe meine/unsere Ansichten gar nicht als so radikal anders
an, wie sie oft aufgenommen werden. Außerdem kann ich die Position meines
Gegenübers meist nachvollziehen, wenn auch nicht verstehen. Vielleicht möchte
ich auch einfach nicht in der Angst leben, dass die Obrigkeit jederzeit mit der Absicht, mich ins Verlies werfen zu
wollen, auf mich zukommen könnte. Die Schuhe des Missionars könnte ich mir
mitunter schon mal anziehen, allerdings würde ich einige Entscheidungen der
Vergangenheit in diesem Zusammenhang nicht mittragen.
Ich hoffe an dieser Stelle, dass die Werte, Methoden und
Praktiken, die ich Anderen so anpreise, mir auch selbst helfen, nicht auf die
schiefe Bahn zu kommen. Regelmäßige Reflexion hilft zum Beispiel ungemein. Die
Werte, unter anderem Offenheit, Respekt und Kommunikation, unterstützen das
Ganze. Das Eingeständnis, dass man alleine nicht perfekt ist und vor allem die
Ideen, die man selbst für großartig hält in Frage gestellt werden sollten und
zu aller erst einmal getestet gehören. Darum habe ich mir überlegt, dass auch
meine Trainings auf den Prüfstand gehören. Geht mein Konzept überhaupt in
anderen Umfeldern auf? In meinem Kopf schon, aber da draußen in der Realität?
Ich habe also einen kleineren Entwickler gefunden; ein paar Leute, die
ebenfalls Software erschaffen, jedoch in anderer Umgebung (software- und
business-technisch). Ihre Welt wurde kürzlich erschüttert und nun befinden sie sich
in einer Lage, auf die sie zwingend reagieren müssen. Dies wollen sie (eventuell)
mit Hilfe der Agilen Softwareentwicklung tun, von der ich sie in den kommenden
Wochen (hoffentlich) überzeugen kann. Ich möchte sie dabei unterstützen, auf
der Basis von agile, lean, etc., ihre neue Position zu finden, von der aus sie
dann auch fit für die Zukunft und gegebenen Falls für das nächste unwegsame
Gelände sind. Für mich springen neue Erfahrungen heraus, die ich so bei meinem
aktuellen Arbeitgeber nicht sammeln könnte, aber für die Arbeit dort brauche.
Wenn meine Rechnung also aufgeht, gewinnen am Ende alle, die Welt ist ein Stück
besser und ich einen Schritt näher daran, mich
und meine Rolle überflüssig zu machen.
DM47
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